Der Weltenbaum
Am Anfang der Zeit, bei Erschaffung der Welt als die Menschheit noch nicht erschaffen war, wuchs auf der Erde nur ein einziger Baum, der die Weltenteilung darstellte. Die Wurzeln des heiligen Baumes reichten bis in die Unterwelt, die Baumkrone beherbergte die Sonne und galt als Himmel, der Baumstamm symbolisierte als mittlere Ebene das Leben sowie die Gegenstände auf der Erde.
Für Japaner und Chinesen ist der Ginkgo der Weltenbaum. Die geteilte Blattform symbolisiert ihre Yin und Yang-Naturphilosophie.
Ein uralter Überlebenskünstler
Ginkgo - uralt, einzigartig, faszinierend und in Asien als Kultbaum verehrt - ist die älteste noch lebende Pflanzenart. Seine Ursprünge reichen 280 Millionen Jahre zurück, d.h. schon bevor die Saurier lebten, existierten Vorfahren des Ginkgo.
Versteinerungen weisen darauf hin, dass er vor der Eiszeit auch schon einmal in Europa angesiedelt war.
In China fand er wohl zunächst optimale Bedingungen, unter denen er das Eiszeitalter überdauern konnte. Die ersten Erwähnungen gehen auf das 11. Jahrhundert zurück, wonach er am Jangtse entdeckt wurde.
Nach Europa zurück kam der Ginkgo um 1730. Der deutsche Arzt und Botaniker Engelbert Kaempfer hatte ihn schon 1690 bei einer Expedition in Japan entdeckt und 1712 das erste mal wissenschaftlich beschrieben. Seefahrer brachten ihn zunächst in die Niederlande, von wo aus er sich die ganze westliche Welt eroberte.
Die robusten Bäume können uralt werden. In Japan soll es einzelne 4000 Jahre alte Exemplare geben. Diese riesigen Veteranen sind bis zu 40 m och und haben einen Umfang bis zu 16 m.
Die ältesten Ginkgobäume in Europa sind über 200 Jahre alt und wachsen im Bergpark von Kassel-Wilhelmshöhe.
Ein Baum - viele Namen
Der Name Ginkgo stammt von dem chinesischen Wort Ginkyo ab, das übersetzt „silberne Aprikose" (von gin = Silber und kyo = Aprikose) bedeutet.
Die Briten tauften den Ginkgo maidenhair tree - Mädchenhaarbaum, da die Ginkgo-Blätter den Wedeln des Venushaar-Farns Adiantum ähneln.
Vierzig-Taler-Baum heißt er bei Franzosen und Spaniern wegen des hohen Preises für die ersten importierten Ginkgos.
In anderen Sprachen wird er im Hinblick auf den goldgelben Blattfall im Herbst auch Tausend-Taler-Baum genannt.
Weitere Bezeichnungen für den Ginkgo, jedoch weniger gebräuchlich, sind Fächerblattbaum, Entenfuß- oder Elefantenohrbaum sowie japanischer Tempelbaum.
Weder Laub- noch Nadelbaum
Vor allem die ungewöhnliche Blattform verleiht dem Ginkgo seinen besonderen Reiz. Das aus den einstigen Nadeln zusammengewachsene Fächerblatt entstand in einem Millionen Jahre dauernden Entwicklungsprozess.
Ein unverwechselbares Charakteristikum ist der mehr oder minder tiefe Einschnitt des Blattes, daher der Artname "biloba” = zweilappig. Die prägnante Struktur der Blätter ergibt sich aus den mehrfach gabelförmig aufgegliederten Blattnerven. Auch hier wieder eine Besonderheit: Im Gegensatz zu Blättern von Laubbäumen, die einen deutlichen Hauptnerv haben, besitzt ein Ginkgoblatt zwei gleich starke Blattnerven, die aus dem Stiel herausführen.
Nach einer schönen goldgelben Färbung wirft der Ginkgo im Herbst seine Blätter ab.
Ginkgo gedeiht fast überall. Weder an den Boden noch an klimatische Verhältnisse stellt der robuste Baum besondere Ansprüche.
Nahrungsmittel und Heilpflanze
Der Ginkgo ist zweigeschlechtlich, d.h. es gibt weibliche und männliche Bäume. Aus den weiblichen Blüten entwickeln sich olivgrüne, kirschförmige Früchte, die sehr unangehm riechen, wenn sie reif sind.
In China wird der nußartige Kern geröstet oder gebacken zusammen mit Gemüse, Reis oder Pilzen zubereitet. Geröstet soll der Geschmack zwischen Kartoffeln und Maronen liegen.
Seit alters her gilt der Ginkgo in Ostasien als wertvolle Heilpflanze. Aus dem Extrakt seiner Blätter werden auch bei uns seit langem in Medikamente hergestellt. Vor allem die durchblutungsfördende Wirkung ist bei uns bekannt.
Sogar das Holz hat eine antiseptische Wirkung und zeichnet sich durch lange Haltbarkeit aus.
Philosophie
Im asiatischen Raum wird der Ginkgo schon seit Jahrhunderten in der Literatur verherrlicht.
Für Japaner und Chinesen ist der Ginkgo sogar der Weltenbaum. Die geteilte Blattform symbolisiert ihre Yin und Yang-Naturphilosophie.
Aufgrund ihrer zweigeteilten fächerartigen Form sind die Blätter Sinnbild des weiblichen und männlichen Prinzips, des Tages und der Nacht, von Freud und Leid sowie von Leben und Tod. Diese Interpretation lässt den gesamten Baum als Symbol der Harmonie erscheinen.
Symbol der Hoffnung
In seiner Heimat Asien gilt der Ginkgo den Menschen als heiliger Baum und als Symbol für Hoffnung, langes Leben, Fruchtbarkeit, Lebenskraft und Unbesiegbarkeit. Seit Jahrtausenden wird der Ginkgo-Baum deshalb in China und Japan in Tempelgärten gepflanzt oder in der Nähe von Weihestätten und Schlössern.
Langlebigkeit, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit trugen zur Beliebtheit und Verehrung des Ginkgo als Kultur- oder Tempelbaum bei.
Er ist resistent gegen Schädlinge, Pilzbefall, Smog, Streusalz und Umweltgifte und überlebte sogar radioaktive Strahlung.
Bei der Atombombenexplosion 1945 in Hiroshima bewies der Ginkgo seine unglaubliche Lebenskraft. Er stand nahe dem Zentrum der Explosion in einem Tempelbereich und wurde halb ausgehöhlt und seine Rinde war völlig verbrannt. Er trieb aber wieder frisch aus und steht heute noch.
So wurde dieser Baum zum Symbol des Überlebenswillens und der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.
Zum "Baum des Jahrtausends" wurde der Ginkgo vom Kuratorium Baum des Jahres erklärt.
Goethes Ginkgo biloba
Dieses Baumes Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut Giebt geheimen Sinn zu kosten wie' s den Wissenden erbaut.
Ist es E i n lebendig Wesen das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwey, die sich erlesen daß man sie als E i n e s kennt?
Solche Frage zu erwiedern fand ich wohl den rechten Sinn. Fühlst du nicht an meinen Liedern daß ich E i n s und d o p p e l t bin?
Johann Wolfgang von Goethe - 15. Sept. 1815
Das Gedicht in Goethes Handschrift mit gepressten Biloba-Blättern.
Zu Goethes Zeiten war der Gingko - der Baum des Ostens im westlichen Garten - noch eine absolute Rarität.
Goethe, der sich intensiv mit den Naturwissenschaften beschäftigte, hatte zu Bäumen eine besondere Beziehung. Er ging mit ihnen oft wie mit lebendigen Wesen um, denn ihre "stille, reine, leidenlose Vegetation" gab ihm oft Erbauung und Trost.
Ein Baum im Heidelberger Schloßgarten erregte damals die besondere Aufmerksamkeit Goethes - der Ginkgobaum.
Zu jener Zeit hatte er eine tiefe innige Verbindung zu Marianne von Willemer. Im Gartenhäuschen traf Goethe seine späte Liebe und Muse; er brach ein Blatt ab, und erklärte ihr die merkwürdige Bildung des in sich geteilten Blattes, welches am vollkommensten den scheinbaren Widerspruch "eins und doppelt" verkörpert. An diese Begebenheit knüpft das berühmte Liebesgedicht an, das er 1815 schrieb und im „West-östlichen Diwan“ verewigte.
Dieser 1795 gepflanzte Ginkgo steht leider heute nicht mehr
In Weimar gibt es es übrigens ein Ginkgo-Museum.
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