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Die Welt in Ordnung bringen
Ein kleiner Junge kam zu seinem Vater und wollte mit ihm spielen. Der aber hatte keine Zeit für den Jungen und auch keine Lust zum Spiel. Also überlegte er, womit er den Knaben beschäftigen könnte.
Er fand in einer Zeitschrift eine komplizierte und detailreiche Abbildung der Erde. Dieses Bild riss er aus und zerschnipselte es dann in viele kleine Teile. Das gab er dem Jungen und dachte, dass der nun mit diesem schwierigen Puzzle wohl eine ganze Zeit beschäftigt sei.
Der Junge zog sich in eine Ecke zurück und begann mit dem Puzzle. Nach wenigen Minuten kam er zum Vater und zeigte ihm das fertig zusammengesetzte Bild.
Der Vater konnte es kaum glauben und fragte seinen Sohn, wie er das geschafft habe.
Das Kind sagte: "Ach, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Den habe ich richtig zusammengesetzt. Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt."
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Ein besonderes Geschenk
Eine weise Frau reiste durch die Berge. Eines Tages fand sie dort in einem Bachlauf einen sehr, sehr wertvollen Stein. Am nächsten Tag traf sie einen anderen Wanderer. Der Mann war hungrig und die weise Frau öffnete ihre Tasche, um mit ihm ihr Brot zu teilen. Der Wanderer sah den wundervollen Stein in der Tasche. "Gib mir den Stein" sagte er.
Die Frau reichte dem Mann ohne jedes Zögern den Stein. Der machte sich schnell davon, denn ihm war klar, dass der Stein sehr, sehr wertvoll war und dass er nun den Rest seines Lebens sorgenfrei verbringen konnte. Einige Tage später kam der Mann jedoch zurück zu der weisen Frau und gab ihr den Stein wieder.
"Ich habe nachgedacht." sagte er. "Ich weiß, wie wertvoll dieser Stein ist. Aber ich gebe ihn dir zurück. Das tue ich in der Hoffnung, dass du mir etwas viel Wertvolleres dafür schenken kannst. Bitte gib mir etwas davon, was es dir möglich machte, mir diesen Stein zu schenken." |
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Weil nur die Zeit versteht ...
Vor langer, langer Zeit existierte eine Insel, auf der alle Gefühle der Menschen lebten: die gute Laune, die Traurigkeit, das Wissen - und so wie alle anderen Gefühle, auch die Liebe.
Eines Tages wurde den Gefühlen mitgeteilt, daß die Insel sinken würde.
Also bereiteten alle ihre Schiffe vor und verließen die Insel.
Nur die Liebe wollte bis zum letzten Augenblick warten. Bevor die Insel sank, bat die Liebe um Hilfe.
Der Reichtum fuhr auf einem luxuriösen Schiff an der Liebe vorbei. Sie fragte: "Reichtum, kannst du mich mitnehmen?" "Nein, ich kann nicht. Auf meinem Schiff habe ich viel Gold und Silber. Da ist kein Platz für dich."
Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem wunderbaren Schiff vorbeikam: " Stolz, ich bitte dich, kannst du mich mitnehmen ?", "Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen..." antwortete der Stolz, "hier ist alles perfekt. Du könntest mein Schiff beschädigen".
Also fragte die Liebe die Traurigkeit, die an ihr vorbeiging: "Traurigkeit, bitte, nimm mich mit", "Oh Liebe" sagte die Traurigkeit, "ich bin so traurig, daß ich alleine bleiben muß."
Auch die Gute Laune ging an der Liebe vorbei, aber sie war so zufrieden, dass sie nicht hörte, daß die Liebe sie rief. Plötzlich sagte eine Stimme : "Komm Liebe, ich nehme dich mit" Es war ein Alter, der sprach.
Die Liebe war so dankbar und so glücklich, dass sie vergaß den Alten nach seinem Namen zu fragen. Als sie an Land kamen, ging der Alte fort.
Die Liebe bemerkte, dass sie ihm viel schuldete und fragte das Wissen: "Wissen, kannst Du mir sagen, wer mir geholfen hat?"
"Es war die Zeit" antwortete das Wissen.
"Die Zeit ?", fragte die Liebe, "Warum hat die Zeit mir geholfen ?"
Und das Wissen antwortete:
"Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist."
Unbekannt
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Seesterne retten
Ein furchtbarer Sturm kam auf. Der Orkan tobte. Das Meer wurde aufgewühlt und meterhohe Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut am Strand. Nachdem das Unwetter langsam nachliess, klarte der Himmel wieder auf. Am Strand lagen unzählige von Seesternen, die von der Strömung an den Strand geworfen waren.
Ein kleiner Junge lief am Strand entlang, nahm behutsam Seestern für Seestern in die Hand und warf sie zurück ins Meer.
Da kam ein Mann vorbei. Er ging zu dem Jungen und sagte: "Du dummer Junge! Was du da machst ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von Seesternen ist? Die kannst du nie alle zurück ins Meer werfen! Was du da tust, ändert nicht das Geringste!" Der Junge schaute den Mann einen Moment lang an. Dann ging er zu dem nächsten Seestern, hob ihn behutsam vom Boden auf und warf ihn ins Meer. Zu dem Mann sagte er: "Für ihn wird es etwas ändern!" |
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Wo es sich besser lebt
Ein König rief einen heiligen Mann zu sich, der durch sein Land wanderte, und fragte ihn, wer Gott sei. “Gott ist Vergebung, und wir sollten versuchen, es ihm gleichzutun”, antwortete der heilige Mann.
Begeistert und in der besten Absicht, sein Verständnis der spirituellen Welt zu verbessern, bat der König den heiligen Mann, in seinem Schloß zu leben und ihm zu helfen, Gott ähnlicher zu werden. “Ich danke Euch”, sagte der heilige Mann. “Aber was werdet Ihr tun, Majestät, wenn Ihr seht, wie ich Eure Tochter küsse?”
“Unterstehe dich ! Ich werde meine Wachen rufen, damit sie dich umgehend festnehmen”, sagte der König wütend.
“Während ich durch die Natur wandere, sieht mich Gott hundert Sünden am Tag begehen und schenkt mir weiterhin seine Liebe. Warum sollte ich diesen “König”, der mir verzeiht, gegen einen eintauschen, der mich für etwas festnehmen will, was ich noch gar nicht getan habe? Ihr habt mich um eine Erklärung gebeten, Majestät, habt sie mit den Ohren gehört, sie aber nicht in Eure Seele gelassen. Geht Ihr Euren Weg weiter, ich werde meinen fortsetzen.”
Paulo Coelho
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Was geschrieben steht
Ein Blinder bettelt am Weg, der nach Mekka führt, als ein frommer Muslim sich an ihn wandte. Er frage ich, ob das Volk ihm großzügig Almosen gebe, so wie der Koran es verlange. Der Bettler zeigt ihm seine fast leere Dose. Da sagte der Pilger: “Lass mich etwas auf das Schild schreiben, das du um den Hals trägst.”
Ein paar Stunden später kam der Fremde wieder vorbei. Der Bettler wunderte sich, wie viel Geld er in der Zwischenzeit bekommen hatte. “Was haben Sie auf das Schild geschrieben?” frage er den Fremden.
“Ich habe nur geschrieben: “Heute ist ein schöner Frühlingstag, die Sonne scheint, und ich bin blind.”
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Das Geheimnis der Zufriedenheit
Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zenmeister.
"Herr", fragten sie "was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du."
Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: "Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich."
Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: "Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?"
Es kam die gleiche Antwort: "Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich."
Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: "Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid.
In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein."
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Momente der Freude
Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, im nächsten Leben, würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen. Ich würde nicht so perfekt sein wollen, ich würde mich mehr entspannen. Ich wäre ein bisschen verrückter als ich gewesen bin, ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben. Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen, Sonnenuntergänge betrachten, mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.
Ich war einer dieser klugen Menschen, die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten; freilich hatte ich auch Momente der Freude, aber wenn ich noch einmal anfangen könnte, würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben. Falls du es noch nicht weisst, aus diesen besteht nämlich das Leben; nur aus Augenblicken; vergiss nicht den jetzigen.
Wenn ich noch einmal leben könnte, würde ich von Frühlingsbeginn an bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen. Und ich würde mit mehr Kindern spielen, wenn ich das Leben noch vor mir hätte. Aber sehen Sie.....ich bin 85 Jahre alt.....
(Jorge Luis Borges)
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Die Palme
Am Rande einer Oase stand eine junge Palme. Sie war ausgesprochen schön gewachsen, grazil und anmutig. Voller Bewunderung schauten Menschen und Tiere oft zu ihr auf und erfreuten sich an ihr.
Eines Tages jedoch kam Ben Sadok, ein finsterer Typ vorbei, der hegte gegen alles Schöne und Gute einen tiefen Groll. Er sah die Palme an und er missgönnte ihr ihre Schönheit dermaßen, dass er ihr einen schweren Stein in die Krone legte. Er meinte, das Leben sei nicht gut zu ihm gewesen, dann sollte auch die Palme kein schönes Leben haben: Der Stein sollte ihre Anmut und Schönheit zerstören und die Palme zu einem kümmerlichen Dasein zwingen. Voller Bosheit und verächtlich lachend ging er davon.
Schockiert und traurig über soviel Hass, Neid und Bosheit konnte sich die Palme kaum rühren, zumal der schwere Stein sie sehr schmerzte. Als die erste Erstarrung nachliess, schüttelte und bog sie sich und versuchte, die Last abzuwerfen. Doch alles war vergebens. Beinahe wäre sie zugrunde gegangen. So grübelte sie über den Sinn des Lebens nach, über Schmerz und Leid. Verzweifelt wünschte sie sich schon den Tod herbei.
Doch dann plötzlich spürte sie eine in der Tiefe verborgenen Wasserader und sie krallte sich fest in den Boden, schickte ihre Wurzeln so tief es nur ging in die Erde. Die Gedanken an die Kraft der Sonne und an das erquickende Wasser gaben ihr neuen Mut, und ihr Herz wurde von Hoffnung gestärkt.
Wasser aus der Tiefe und Sonnenglut aus der Höhe halfen dem jungen Baum, trotz seiner schweren Last eine königliche Palme zu werden. Sie wuchs empor und stemmte dabei mit aller Kraft den schweren Stein hoch und höher.
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Die Jahre vergingen und aus der zarten Palme, die die Herausforderung, mit dem Stein zu leben angenommen hatte, wurde die größte, stärkste und schönste Palme der ganzen Oase. Schließlich trug sie auch reichlich Früchte, die von der Sonne verwöhnt wurden und so zu guten und reifen Früchten heranwuchsen. Diese Früchte schenkte die Palme allen, die sie mochten und die sie so bewundert hatten.
Nach mehr als 30 Jahren kam nun der üble Ben Sadok wieder vorbei. Schadenfroh wollte er den verkrüppelten Baum sehen, den er, wie er meinte, verdorben hatte. Er suchte ihn, fand ihn aber nicht.
Da neigte die stolzeste und höchste aller Palmen ihr Haupt, zeigte ihm den Stein und sagte: "Ben Sadok, ich danke dir, dass du mir diese Last auferlegt hast. Nur durch sie konnte ich so stark werden".
Afrikanisches Märchen
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